Heute möchte ich über eine sehr interessante Gärungsart erzählen und zwar über die Herstellung des Brotes mit thermophilen Sauerteig. Dieser Vorgang wird genutzt um "Premium Qualität" Brote herzustellen und findet seinen Einsatz in den baltischen Ländern, Weißrussland und natürlich in Russland. Bevor ich anfange, stelle ich direkt eine Quizfrage: "Was ist ähnlich zwischen diesen Broten und deutschem Bier?". Diese Frage wird von mir bald beantwortet.
Geschichte
Wenn früher das Kochstück/Aromastück in den traditionellen Bäckereien hergestellt wurde, dann lief es als ein durchgehender Prozess. Das Kochstück wurde im großen Fass 200-300 Liter verzuckert, danach in einem anderen Fass langsam abgekühlt. Bei diesem Volumen dauert die Abkühlung mehrere Stunden. Sehr lang hatte das Kochstück eine Temperatur von 55 bis 40°C. In diesem Temperaturbereich fing eine spontane Gärung an, die durch thermophile Bakterien Lactobacillus Delbrueckii verursacht wird. Diese produzieren die Milchsäuren und geben dem Kochstück einen extra "Aroma" und "Geschmack" Schub, was SEHR, SEHR angenehm ist. Da Gärungfässer nie gereinigt wurden, blieb am Boden und an den Wänden ein wenig vom alten Kochstück und so wurde das neue direkt gezüchtet.
Zu Sowjetischen Zeiten wurden diese Bakterien gezielt selektiert und mit deren Hilfe werden heute noch einige wahnsinnige Brote gebacken.
L. Delbrueckii
L. Delbrueckii zählt zu den mesophilen Organismen, mit Tendenz zur Thermophilie. Der meistbekannte Stamm davon ist Lactobacillus delbrueckii subsp. bulgaricus, der für die Herstellung von Joghurt benutzt wird. Bei Getreidegärung ist aber ein anderer Stamm von L. Delbrueckii aktiv, der anstatt Laktose gerne Maltose in die Milchsäuren verarbeitet, deren Wachstumsoptimum liegt zwischen 48-52°C. Bei normalen Teigtemperaturen von ca. 30°C stellt L.Delbrueckii seine Tätigkeit komplett ein. Dieser Bazillus produziert nur die Milchsäuren und kein Kohlendioxid und besitzt so gesehen keine Treibkraft. Wie sieht dann die Herstellung von solchen Broten aus? Das habe ich im folgenden Diagramm abgebildet:
Die Delbrueckii mögen das Kochstück sehr, weil es süß ist und viel Maltose hat. Delbrüeckii verseuren und aromatisieren das Kochstück/Aromastück bei einer Temperatur von ca. 50°C. Was man am Ende bekommt heißt "Thermophiler Sauerteig". Danach wird er abgekühlt bis zur normalen Temperatur von ca. 32°C. Die L.Delbrueckii schlafen bei dieser Temperatur ein, und "Thermophiler Sauerteig" wird weiter mit ganz normalen Sauerteig gegärt. Am Ende bekommt man einen flüssigen Sauerteig der von mehreren "Kulturen" gezüchtet wurde und nicht nur Aroma und Geschmack besitz sondern auch Treibkraft . In dieser Form kann man damit den Teig reifen lassen. Der gesamte Gärungsprozess von solchen Broten dauert ca. 36-40 Stunden!
Klingt sehr kompliziert oder? Aber das ist das, was ich sehr mag - komplizierte Brote! Und das Brot mit Thermophilen Sauerteig zu Backen ist eine Herausforderung.
Thermophilen Sauerteig durch "spontane" Gärung gewinnen
Aber wie kommt man an den L. Delbrueckii? Ich bin keine lettische oder russische Bäckerei, die L. Delbrueckii heutzutage in einem Reagenzglas bekommt. Ich habe mich eine längere Zeit umgeschaut und habe herusgefunden, dass nicht nur der Joghurt und das Brot mit L. Delbrueckii hergestellt werden, sondern einige deutsche Biersorten auch (z.b. Berliner Weisse)! Das ist die Antwort auf die Quizfrage und gleich die Lösung für das Kernproblem.
Die Brauer brauchen für das Bier eine Maische was grob gesehen nichts anderes als das Kochstück aus dem Malz ist. Nach dem Maischen Vorgang geben die Hobbybrauer in die Maische ein wenig Malz zusätzlich und dann folgt eine Milchsäure-Rast 48-72 Stunden lang bei 48-52°C. L. Delbrueckii befinden sich auf der Malzoberfläche und unter diesen Temperaturbedingungen mit reichlichem Maltose-Futter vermehren sie sich langsam. Diese Methode ist genau was ich brauche um an die L. Delbrueckii zu kommen.
Zuerst habe ich die Maische aus dem hellen Roggenmalz vorbereitet:
Malz:75g
Wasser:225ml
Malz zum verzuckern:15g
Da ich nur die Maltose brauche, habe ich auf das komplizierte mehr-Rasten Verfahren verzichtet und habe die Maische wie ein Kochstück gemacht:
75g Malz mit gekochtem Wasser (100 °C) übergossen und gemischt, dann 15g Malz dazugegeben und 3 Stunden lang bei 65 °C verzuckern lassen, zum Schluss bis 50°C abgekühlt.
Danach noch 20g an grob-geschroteten Malz dazu gegeben, umgerührt und gut abgeschlossen in den Backofen bei 49°C gestellt.
Es ist sehr wichtig den Container fest abzuschließen. Die Delbrueckii Bakterien sind Aerob-tolerant, sie brauchen kein Sauerstoff für Wachstum aber sie tolerieren ihn. Es gibt nicht so viele Mikroorganismen die solche Temperaturen überleben, aber es gibt doch einige thermophile Keime, die vermehren sich gern wenn Sauerstoff vorhanden ist. Sie kommen nicht in die Maische rein aber vermehren sich gern auf der Oberfläche, deswegen ist es wichtig den Sauerstoff für sie "abzuschalten".
Man muss auch darauf achten, dass es im Container etwas wärmer wird als "draußen", die gewünschte Temperatur von 48°C bis 52°C soll von der Maische sein und nicht vom Umfeld. Man muss auch vermeiden den Container oft zu öffnen, ich habe nur ab und zu die Temperatur, Geruch und die Säuerung kontrolliert.
Nach 12 Stunden
Es fängt an aus dem Container zu "riechen". Der Geruch ist noch zu schwach.Nach 24 Stunden
Geruch wird deutlicher. Es vermischen sich unterschiedliche Töne: was saureres, apfel-pflaumen und noch etwas nicht sehr angenehmes. Das letzte sind die fremden Kulturen die sich auf der Oberfläche von Maische genistet haben. Das ist ja nicht schlimm.pH Wert ist bereits bei 5.
Nach 48 Stunden
pH Wert ist bereits bis 4 gesunken und ich entscheide die Säuerung abzubrechen.Jetzt muss man den Container öffnen und die Fremdkulturen entfernen, das ist ja kein Problem, weil die Maische flüssig ist, und die schwimmen nur auf der Oberfläche. Eigentlich machen die Hobbybrauer auch nichts anderes.
Jetzt wenn die fremden Kulturen weg sind, riecht die Maische sehr angenehm. Sie ist auch Süß-Sauer vom Geschmack. Das ist genau das was ich brauche - meine erste Kolonie von L. Delbrueckii.
Gibt man jetzt ein wenig von der gesäuerten Maische in das Kochstück/Aromastück dazu und lässt es bei 48°C-52°C verseuren, bekommt man einen thermophilen Sauerteig. Noch mal zu betonen ist: Die Delbrueckii Bakterien verarbeiten Maltose die im Kochstück/Süßstück/Aromastück vorhanden ist, im Mehl gibt es keine Maltose!
Das habe ich direkt an einem Kochstück aus dem Mehl Typ 1150 und hellem Roggenmalz getestet.
Kochstück/Süßstück mit hellem Roggenmalz soll technologisch wie hier beschrieben ist zubereitet werden. Auf 1 Teil von Roggen-Maische braucht man 4-5 Teile Kochstück aus dem Roggenmehl Typ 1150.
140g Roggenmehl Typ 1150 mit gekochtem Wasser (280ml 100 °C) übergießen und zusammenmischen, gemahlenes Roggenmalz (35g) dazugegeben, gut zusammenmischen und 2,5 Stunden bei 65°C verzuckern lassen. Bis 50°C abkühlen lassen, 100g vom thermophilen Malzstarter dazugeben und gut durchmischen.
Die Versäuerung dauert 18-24 Stunden bei 48°C-52°C. Nach 24 Stunden habe ich thermophilen Sauerteig:
Diesmal sind keine Fremdaktivitäten vorhanden. Der thermophile Sauerteig riecht sehr lecker nach Süß-saurem Apfelmuss und schmeckt fast genau so. Ich bin sehr gespannt wie das Brot damit schmecken kann! Also die Methode funktioniert!
Weiter zum ersten Brotrezept mit Thermophilem Sauerteig.